Restorative Justice

Der Mensch wird am Du zum Ich (Martin Buber)

Worum geht es bei Restorative Justice?

In einer Zeit, wo die Stimmen nach einer vergeltenden Gerechtigkeit lauter werden, muss es darum gehen, die eigentlichen Konflikte zu sehen und nicht aus dem Strafverfahren herauszunehmen.

Hinter jedem Delikt, hinter jeder Straftat stehen menschliche Desaster. Delikte und Straftaten schaffen Wunden und Schmerz, zerstören Beziehungen zwischen Freunden, Familien, Gemeinschaften und in der Gesellschaft.

Die Folgen einer Straftat bzw. eines Unrechts wiederholen sich. Die Opfer entwickeln Ängste, aber auch Schuldgefühle – Familien brechen auseinander und das Leben wird plötzlich sinn- und inhaltslos. Die Täter entwickeln verschiedene Affekte:  auf der einen Seite Abwehr und Verdrängung, um sich nicht der Tat und den Gefühlen stellen zu müssen, andererseits Schuldgefühle und Ängste.

Aber auch das Gemeinwesen (die community) – das Dorf, die Stadt, der Staat – sind betroffen: Straftaten und Unrecht schaffen volkswirtschaftlichen Kosten (Strafvollzug, Therapien, Versicherungen usw.) und provozieren Diskussionen über Sicherheit und Strafverschärfungen.

Wir brauchen ein heilendes Recht. Restorative Justice sieht die Delikte, die daraus resultierenden Verletzungen und mögliche Heilungsprozesse nicht isoliert, sondern in Be­zug auf die beteiligten Individuen und insbesondere in Bezug auf den breiten sozialen Zusammenhang.

Es geht vor allem um die Beziehungszerstörung und den Schmerz durch das Delikt. Eine Gesellschaft und ein Rechtssystem sollte alles tun, um diesen Schmerz zu heilen.

 

Was ist Restorative Justice?

„Restorative Justice“ verfolgt andere Ziele und nutzt andere Methoden als „Criminal Justice“.
Bei der Criminal Justice geht es um die Vergeltung eines Unrechts durch die Zufügung mit einem Strafübel. Restorative Justice ist eine Reaktion auf Delikte, die sowohl das Opfer, als auch den Täter und die Gemeinschaft/Gesellschaft in die Suche nach Lösungen involviert.

Restorative Justice ist auf die Wiederherstellung von positiven sozialen Beziehungen, insbesondere auf Wiedergutmachung, Versöhnung und Vertrauensbildung hinorientiert. Im Restorative Justice geht es um den bestmöglichen Umgang mit unerwünschten Folgen (materiellen und immateriellen Schäden) eines unerwünschten Vorfalls.

Restorative Justice setzt auf Beziehungsarbeit und nicht auf formales Recht – definiert Schuld und Verbrechen nicht als Vergehen gegen Gesetze und den Staat, sondern als Vergehen gegen Beziehungen. Die Sprache des Restorative Justice ist eine Beziehungssprache.

Restorative Justice ist ein Prozess „Dinge so gut wie möglich in Ordnung zu bringen“ („to put things right“). Das schließt ein:

  • kooperative Strukturen – Im Restorative Justice-Prozess werden primäre und sekundäre Opfer und deren Familien, Täter und deren Familien, Vertreter des Gemeinwesens und der Politik, Kirchenvertreter und Vertreter von Schulen und andere mit einbezogen;
  • die Folgen einer Straftat zu begrenzen, d. h. zuerst für die Sicherheit von Opfer und Gemeinwesen zu sorgen, damit keine weitere „Verletzungen“ entstehen.

Die Rechtspraxis im RJ arbeitet mit verschiedenen Mediationspraktiken und nutzt religiös-spirituelle Rituale als sinndeutender Rahmen – z. B. den „Kreis“ (circle) als beziehungsfördernden Rahmen der Treffen.

Restorative Justice versteht das Verfahren:

  • Als Lernsituation für den Täter, neue Wege und Handlungsmuster zu lernen und sich neu als Mitglied eines Gemeinwesens zu verstehen.
  • Als Heilungssituation für das Opfer, indem Beratung, Therapie und andere Hilfen gewährt werden;
  • als Orientierungssituation für das Gemeinwesen. Restorative Justice ermuntert kommunale Institutionen – eingeschlossen kirchlicher Institutionen – zu einer Rolle, moralische und ethische Standards zu etablieren, um neue, nachfolgende, verantwortliche Strukturen zu schaffen, weil diese der Schlüssel zu einem (re)integrativen, vertrauensvollen Gemeinwesen sind

In Deutschland wird RJ weitgehend mit Täter-Opfer-Ausgleichs-Projekten identifiziert.

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Fragen zu Restorative Justice

Welche Methoden werden in der Restorative Justice angewandt?

RJ umfasst Methoden, bei denen Täter, Opfer und betroffene Gemeinschaftsmitglieder zusammenkommen, um den Schaden zu besprechen, Lösungen zu finden und eine Vereinbarung zur Wiedergutmachung zu treffen. Dazu gehören: Reintegrative Shaming, Circle sentencing (Konfliktlösungskreis oder Urteil-Findungskreis) oder der Peacemaking Circles aus den indigenen Traditionen Nordamerikas, Family Group Conferences nach Vorbild der Maori-Tradition Neuseelands, die polynesische Tradition des Ho’oponopono („family conferences in which relationships were set right“) oder verschiedene Empathietrainings für Täter:innen in Deutschland.

Wie unterscheidet sich Restorative Justice von traditionellen Strafsystemen?

Im Gegensatz zu traditionellen Strafsystemen, die auf Bestrafung und Abschreckung abzielen, legt RJ den Fokus auf Wiedergutmachung, Versöhnung und die Rehabilitation sowohl für den Täter als auch für die Opfer und die Gemeinschaft.

Retributive Justice:

Vergeltende Optik

Restorative Justice:

Wiederherstellende Optik

Fixiert auf das Verhältnis von Schuld und Strafe Fixiert auf Problem- und Konfliktlösung
Eine Straftat ist ein Vergehen gegen Regeln und Gesetze und gegen den Staat Eine Straftat ist eine Verletzung von Menschen und Beziehungen
Der Täter erhält das, was er verdient hat Der Täter erhält das, was er braucht
Normativ ist das Auferlegen von Schmerz und Strafe Normativ ist der Heilungsprozess durch Wiederherstellen und Wiedergutmachung
Gerechtigkeit verlangt vom Staat, Schuld zu entscheiden und Strafe aufzuerlegen: Sinn für das Gleichgewicht durch Vergeltung Gerechtigkeit beteiligt Täter, Opfer und die Community, um die Dinge wieder in Ordnung zu bringen: Gleichgewicht durch Wiederherstellung von Beziehungen
Bedürfnisse sind sekundär Bedürfnisse sind primär
Verbrechen schafft Schuld Verbrechen schafft Verpflichtungen
Betonung, dass eine soziale Verletzung die nächste nach sich zieht Betonung liegt darauf, soziale Verletzungen zu reparieren und zu heilen
Gerechtigkeit dient der Trennung (von Gut und Böse) Das Ziel der Gerechtigkeit ist ein neues Miteinander/eine neue Gemeinschaft
Fokus liegt auf der Vergangenheit Fokus liegt auf der Zukunft
Reaktion des Rechtsystems basiert auf dem Verhalten des Täters in der Vergangenheit Reaktion des Rechtsystems basiert auf den Folgen des Verhaltens des Täters
Fokus liegt auf dem Täter und der Tat Fokus liegt auf den Bedürfnissen des Opfers
Der Täter trägt keine Verantwortung für Lösungen Der Täter trägt Verantwortung für Lösungen
Was sind die Ziele von Restorative Justice?

Die Ziele von RJ sind die Wiederherstellung des Gleichgewichts, die durch das Delikt zerstört wurde. Dazu gehören:

  • Förderung der Verantwortlichkeit des Täters.
  • Die Heilung des Opfers.
  • Die Wiederherstellung des sozialen Schadens sowie die Verringerung von Rückfällen.

Darum sind folgende Punkte wichtig:

  • Unterstützung von RJ Prozessen in Offenheit, Respekt und Wertschätzung.
  • Unterstützung eines opferorientierten Strafrechts.
  • Austausch von Theorie und den politischen-rechtlichen Fragen im Sinne der RJ.
  • Austausch, Förderung und Weiterentwicklung von Ideen, Methoden und gesellschaftlichen Prozessen, die mit der RJ verbunden sind.
Gibt es Beispiele für erfolgreiche Anwendungen von Restorative Justice?

Ja, es gibt zahlreiche erfolgreiche Beispiele. Man findet sie z.B. auf den Homepages des European Forum for Restorative Justice oder Restorative Justice Network – oder auch bei Tilmann Lutz, Restorative Justice. Visionäre Alternative oder Version des Alten?, LIT-Verlag: Münster 2002.

Welche Rolle spielt die Community in der Restorative Justice?

Die Kraft der Gemeinschaft sollte niemals unterschätzt werden, insbesondere wenn es darum geht, die Schäden und Wunden wiedergutzumachen, die durch ein Unrecht oder eine Straftat verursacht wurden. Das Gemeinwesen (die „Community“) spielt eine wichtige Rolle im Restorative Justice-Prozess, weil sie Räume für Heilung und den Wiederaufbau von Vertrauen schaffen kann und den sozialen und gesellschaftlichen Kontext des Tatgeschehens zur Sprache bringen kann. Im gemeinschaftlichen Engagement kommen alle Beteiligten –Opfer, Täter und Community – zusammen, um Lösungen zu finden. Dabei werden nicht nur die unmittelbaren Auswirkungen des Vorfalls betrachtet, sondern auch die langfristigen Auswirkungen auf das Opfer und die Gemeinschaft.

Für den Täter geht es darum, Verantwortung zu übernehmen und seine Handlungen zu bereuen. Dieser Prozess ermöglicht es dem Täter, aus seinen Fehlern zu lernen und neue Verhaltensweisen zu erlernen, die zur Wiederherstellung der sozialen Beziehungen beitragen.

Für das Opfer gibt das Engagement der Community die Möglichkeit, Verletzungen anzusprechen und eine gewisse Form der Genugtuung zu finden. Die Unterstützung der Gemeinschaft ist ebenfalls von großer Bedeutung, da sie dem Opfer zeigt, dass es nicht allein ist und dass es Menschen gibt, die bereit sind, ihm zu helfen und ihm bei der Genesung zu unterstützen.

Darüber hinaus spielt das Engagement der Community eine wichtige Rolle beim Wiederaufbau von Vertrauen. Durch den Prozess der Wiedergutmachung und der Versöhnung werden positive Beziehungen innerhalb der Gemeinschaft gefördert und das Vertrauen zwischen den Beteiligten wiederhergestellt. Dies ist entscheidend, um ein gesundes und starkes Gemeinwesen aufzubauen, in dem Menschen sich sicher und unterstützt fühlen.

 

Gibt es Herausforderungen bei der Umsetzung von Restorative Justice?

Ja, denn es gibt die Befürchtung, RJ verwische die vom Strafrecht klar gezogenen Grenzen, da die Täter ohne Strafe in die Freiheit entlassen werden – RJ könne keine Sicherheit gewähren. Die Gesellschaft will oft Rache und Vergeltung.
Weitere Herausforderungen sind der Zugang zu RJ-Prozessen und die Freiwilligkeit aller Beteiligten.

Wird Restorative Justice weltweit angewendet?

Ja, RJ wird weltweit angewendet und hat in verschiedenen Ländern Anerkennung gefunden. Die Vereinten Nationen, sowie die Europäische Union und der Europarat empfehlen die Implementierung der RJ in das Strafrecht.
Die UN verabschiedete 2002 die Resolution «Basic Principles on the Use of Restorative Justice Programmes in Criminal Matters» (Economic and Social Council [ECOSOC]-Resolution 2002/12 vom 24. Juli 2002), in der die Im¬plementierung von Restorative Justice-Programmen empfohlen wird. Diese Resolution baut auf der Empfehlung des Europarats aus 1999 auf. 2006 erschien das Handbook on Restorative Justice Programmes (Vienna, UN Office of Drugs and Crime). In der Einleitung heißt es: „Dieses Handbuch gehört zu einer Reihe von praktischen Instrumenten, die von UNODC entwickelt wurden, um Länder bei der Umsetzung der Rechtsstaatlichkeit und der Entwicklung von Reformen der Strafjustiz zu unterstützen.“ Es wird auf die Vienna Declaration on Crime and Justice: Meeting the Challenges of the Twenty-first Century aus dem Jahr 2000 verwiesen, die zur „Entwicklung von RJ-Strategien, Verfahren und Programmen ermutigt, die die Rechte, Bedürfnisse und Interessen von Opfern, Tätern, Gemeinschaften und allen anderen Parteien respektieren.“
In der EU gab es ab 1999 verschiedene Empfehlungen, die den Mitglieds¬ländern die Implementierung von RJ und Opferprogrammen zur Aufgabe macht, z.B. Recommendation No. R (99) 19, adopted by the Committee of Ministers of the Council of Europe on 15 September 1999, entitled “Mediation in Penal Matters” und die Guidelines for a better implementation of the existing recommendation concerning mediation in penal matters, CEPEJ (2007)13 (7. Dezember 2007).
Länder wie z.B. Neuseeland, Kanada, Belgien, Schweden, Norwegen oder England haben dementsprechend Projekte angefangen und RJ ins Rechtssystem integriert.

Weiterführende und interessante Links

European Forum for Restorative Justice: https://www.euforumrj.org/en

Restorative Justice Network (PFI): https://restorativejustice.org/

Verlag für Gefängnisseelsorge: https://verlag-gefaengnisseelsorge.ch/

Seelsorge & Strafvollzug: https://www.seelsorgeundstrafvollzug.ch/

Evangelische Konferenz für Gefängnisseelsorge: https://www.gefaengnisseelsorge.de/

Projekt „Julius Klingebiel“ – Kunst in der Psychiatrie: https://www.julius-klingebiel.de/ausstellung

Seehaus Leonberg: https://seehaus-ev.de/

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